Muss man Politiker:in sein, um einen Einfluss auf die Politik zu haben? Nein! Die JUSO zeigt Wege auf, wie man ohne die parlamentarische Politik die Schweiz verändern kann.
Eine Reportage von Giacomo und Haohua.
Die Politik ist wie ein Kuchen, jeder sollte ein Stück davon bekommen. Doch die Jugendlichen fallen beim Schneiden häufig aus der Rechnung. Die JUSO kümmert sich um dieses Problem. Lernen Sie mit uns die JUSO besser kennen.

Ein Nachmittag mit der JUSO
Eine Woche vorher haben wir uns auf der Webseite der JUSO für die Teilnahme an einer Vollversammlung angemeldet. Unsere Namen und unsere Telefonnummern haben gereicht, um uns einzutragen.
Heute ist der 23. März: Die Sonne scheint hell, der Himmel ist blau und der Tag ist herrlich. Wir warten gespannt vor der Büroräumlichkeit der JUSO, welche wie ein Stadtappartement aussieht, beziehungsweise der SP. Die Vollversammlung beginnt um 14:00 Uhr, wir sind zwanzig Minuten zu früh da. Nach und nach tauchen Leute auf, die Stimmung bleibt jedoch vorerst still. Erst als Co-Präsident:in Jakub Walczak - möchte mit keinen Pronomen bzw. they angesprochen werden - ankommt und die Tür öffnet, erwacht das Plaudern. Beim Betreten des Appartements bemerken wir, die grossen Vorräte an Werbematerialien, die in Kartonschachteln liegen. Diese stehen online zum Verkauf. Ausserdem riechen wir einen leichten Duft von Kaffee und Bananen. Wir laufen durch diesen Gang, wobei wir auf Jakub Walczak treffen. Jakub begrüsst uns herzlich und zeigt uns das Sitzungszimmer.
Wir begeben uns in das Zimmer und uns werden Getränke und Snacks angeboten. Wir werden von den Vorstandsmitgliedern angesprochen und es herrscht eine lockere Atmosphäre. Man fragt uns, wer wir sind und woher wir kommen. Als wir angeben, dass wir zwei Schüler des Gymnasiums Kirchenfeld sind, entsteht ein freundliches Lächeln auf den Gesichtern. Kurz vor Beginn werden alle gebeten, ihre Namen und Pronomen auf ein Stück Klebeband aufzuschreiben und dieses dann anschliessend zu tragen. In der Zwischenzeit sprechen die Leute miteinander, manche laufen herum – allgemein herrscht eine etwas chaotische Stimmung. Es fallen Sachen zu Boden, alle versuchen sich durchzudrängen, um an ihrem Platz zu gelangen. Unter anderem hört man, wie sich Leute über den zu kleinen Saal beschweren. Die Gespräche sind so intensiv, dass die Vollversammlung mit 10 Minuten Verspätung beginnt.

Als die Sitzung offiziell beginnt, wird jede Person aufgeboten, ihren Namen, ihr Lieblings-Instagram- Konto und das Pronomen anzugeben, mit dem sie angesprochen werden will. Die meisten wollen mit er/sie angesprochen werden, doch es gibt Personen, welche wechselnde Pronomen oder keine verwenden. Die Sitzung beginnt mit einer PowerPoint über die Planung von Aktionen.
Laut, aber ernst!
Der Workshop dauert länger als geplant und die zuständige Person ist nicht ausreichend vorbereitet; die PowerPoint-Präsentation ist nicht fertiggestellt. Wichtige Informationen werden dennoch erwähnt. So wird zum Beispiel erklärt, wie eine Aktion zu planen und durchzuführen sei. Auffällig ist die Bemerkung, dass gewisse illegale Handlungen erlaubt seien, solange sie keinem Mitglied oder sonstigen Passanten schaden. Es sei jedoch notwendig, die Konsequenzen solcher Handlungen im Voraus rechtlich abzuklären und die Teilnehmer darüber zu informieren. Das Interesse bleibt die ganze Zeit über erhalten, doch die Konzentration sinkt mit der Zeit. Sobald es jedoch um konkretes Engagement geht, etwa die Klimagerechtigkeitsinitiative, steigt die Aufmerksamkeit wieder. Doch zuerst gibt es eine Pause. Die Stimmung hebt sich und Leute reden miteinander. In jeder Ecke hört man Gespräche, ein kühler Luftzug erfrischt den Raum und die Leute befreien sich von ihren Plätzen. Im Hintergrund, neben all den Stimmen, hört man die Kaffeemaschine und der Geruch von frischem Kaffee zieht durch die Gänge. Immer mehr Leute verlassen den Sitzungsraum und es wird leiser.
«Doch mit der Zeit bemerkte ich, dass diese Forderungen nicht einfach nur laut sind, um Aufmerksamkeit zu erlangen, sondern dass es ernst gemeinte Forderungen sind.»
Nach der Pause stellt Anna Leissing, Mitglied der Grünen, die Ziele der Klimagerechtigkeitsinitiative vor. Sie argumentiert, die Politik sei nicht auf Kurs. Das Grüne Bündnis habe deshalb das Initiativeprojekt «Klimagerechtigkeitsinitiative» ausgearbeitet. Während Anna Leissing das Initiativeprojekt vorstellt, hören die Mitglieder der JUSO fokussiert zu. Die Zuschauenden sind still und fragen bei Bedarf nach. Die Stimmung ist ernst. Man spürt einen starken Stimmungswechsel im Vergleich zum vorherigen Workshop. Die Präsentation zählt alle Anforderungen der Initiative auf und alle Punkte sind nachvollziehbar dargestellt. Nach der Fragerunde wird darüber abgestimmt, ob die JUSO dem Initiativeprojekt beitreten will oder nicht. Es ist eine klare Mehrheit und die Sache ist beschlossen: Alle sind dafür, dass die JUSO dem Initiativeprojekt beitritt. Sobald sich Anna verabschiedet hat, geht es um die Forderungen der SP: die «Mindestlohninitiative».
JUSO hat oft Forderungen gestellt, doch diese werden oft als extrem und übertrieben betrachtet. Die Formulierungen werden selten richtig verstanden. Doch als JUSO-Mitglied sind die Forderungen nachvollziehbar. Darunter fällt auch die Co-Präsidentin der JUSO-Stadt Bern, Charlotte Günther. Sie äussert zu den extremen Forderungen: «Doch mit der Zeit bemerkte ich, dass diese Forderungen nicht einfach nur laut sind, um Aufmerksamkeit zu erlangen, sondern dass es ernst gemeinte Forderungen sind.». Später erläutert Charlotte noch, dass diese Forderungen realistisch und umsetzbar seien. Laut seien die Forderungen nur, da dies die Wahrheit widerspiegle und auf keinen Fall bloss zum Erlangen von Aufmerksamkeit diene.
Die Bedeutung der Jugend in der Politik
Die Jugend macht einen grossen Teil der Bevölkerung aus. Sie ist mit anderen Problemen als ältere Generationen konfrontiert und sieht deshalb gewisse oder andere Lücken im System. Diese Lücken möchte sie gerne füllen. Deshalb fangen Jugendliche an, in die Politik zu gehen; sie wollen ihre Meinung kundtun, um in der Schweiz tatsächlich etwas zu verändern.
Die JUSO ist genau dafür da. Die Versammlungen und Aktionen bieten den Jugendlichen die Möglichkeit, auf solche Lücken hörbar aufmerksam zu machen. Das Leitmotiv der JUSO-Stadt-Bern lautet deshalb: «Ändere, was dich stört!». Dieser Spruch ist gut gewählt, da er genau auf diese Tatsache aufmerksam macht. Er motiviert die Jugend, etwas zu unternehmen. Charlotte Günther sagt dazu: «Es werden so viele Dinge entschieden, die uns alle etwas angehen und es gibt so viele Dinge in der Welt, die man ändern müsste.» Konkret heisst das, das die jungen Leute besonders in der Klimathematik einen stärkeren Einfluss haben sollten. Dies, weil sie sonst in der Zukunft gewisse Kippmomente nicht mehr rückgängig machen können. Da die älteren Generationen die Auswirkungen dieser Probleme gar nicht erleben werden, nehmen sie diese weniger wahr. Deshalb ist der Klimawandel einer der Hauptfaktoren des politischen Engagements der Jugend. So ist es auch bei Charlotte der Fall gewesen. Sie wurde aufgrund der vielen Klimastreiks politisch aktiv.
Unser Einsatz und unsere Werte
Die JUSO fordert deshalb, dass alle sich an der Politik beteiligen dürfen. Da nicht alle ein Wahl- und Stimmrecht haben, muss es halt anders gehen.
«Auf diese Weise zeigt die JUSO, dass parlamentarische Politik nicht nur die einzige Art ist, Politik zu betreiben.»

Die Vorstellung, dass man nur durch parlamentarische Politik aktiv etwas in unserem Land ändern kann, stimmt laut JUSO nicht. Der Grund dafür ist die Ausgrenzung gewisser Bevölkerungsgruppen. Diese werden dadurch ausgegrenzt, dass sie aufgrund gesetzlicher Grundlagen nicht teilnehmen dürfen oder schlicht nicht die Zeit dafür haben. Solche Gruppen wären zum Beispiel die Jugend, Einwanderer und Einwanderinnen ohne Schweizer Pass oder sonstige Minderheiten.
Um die parlamentarische Politik zu umgehen, setzt die JUSO auf Aktivismus. Charlotte erzählt, wie Aktivismus alle gleichstellt und somit allen ein Mitspracherecht gibt: «Auf diese Weise zeigt die JUSO, das parlamentarische Politik nicht nur die einzige Art ist, Politik zu betreiben.» Aktivismus umfasst alle Aktionen, die in der Öffentlichkeit stattfinden. Demonstrationen sind ein bekanntes Beispiel, es können aber auch andere Aktionen sein. Die Bevölkerung kann dadurch ihre Unzufriedenheit ausdrücken und somit auf gewisse Lücken im System aufmerksam machen. Diese Probleme sollen in der parlamentarischen Politik aufgegriffen werden, die Demonstrationen sollen einen gewissen Druck auf die parlamentarische Politik ausüben und sie dadurch lenken. Ausserdem werden öffentliche Aktionen oftmals mediatisiert. Die Mediatisierung bringt mehrere Vorteile mit sich. Einerseits dient sie als Werbung für die Partei, anderseits wird die Botschaft somit verstärkt übermittelt. Es gibt auch gewisse Nachteile, etwa dass sich eine Partei öffentlich diskreditiert, falls sie ungeschickt mit den Medien umgeht und inkohärente Forderungen oder Botschaften vermittelt. Charlotte sagt dazu: «Wir versuchen vor allem durch unseren Einsatz und unseren Werten aufzufallen.» Jedenfalls wirkt der Aktivismus für Parteien wie die JUSO wie eine Säule. Jugendliche können dank solchen Infrastrukturen, wie die JUSO sie bietet, Angelegenheiten in die Welt bringen. Die Jungpartei legt deshalb grossen Wert auf den Aktivismus.
Die JUSO als Repräsentantin der Jugend
Die JUSO zwingt niemanden aktiv zu sein. Charlotte spricht über formelle Mitglieder: «Formelle Mitglieder sind halt die, welche die JUSO ideell gut finden und passiv unterstützen wollen.» Die JUSO erlaubt es auch passiven Mitgliedern ideell teilzunehmen. Sie bietet auch einen Raum für solche, die sich aktiv beteiligen wollen. So kann sich jeder per Knopfdruck bei der JUSO anmelden. Auch Charlotte ist das Mitgliedwerden leichtgefallen, denn für sie habe eben ein einfacher Knopfdruck gereicht: Sie hat nur auf den Knopf «MITMACHEN» gedrückt und schon hat sie sich ein Stück vom Kuchen gesichert.
Charlotte Günther
Die 19-jährige Charlotte Sophia Günther (sie/ihr) interessiert sich seit der siebten
Klasse für Politik. Der Auslöser dieses Interesses war die Klimakrise und das ständige
Diskutieren am Esstisch. Wichtig war die Erkenntnis, dass der Klimawandel
nicht nur eine ökologische, sondern auch eine sozialeGefahr darstellt. Somit entschied
sich Charlotte ohne zu zögern dafür, der JUSO und der SP beizutreten. Sie wurde zu
einem Doppeltmitglied, engagiert sich aber stärker bei der JUSO und ist vor Kurzem CO
Präsidentin der Jungpartei geworden. Zusammen mit Jakub Walczak (keine Pronomen/they)
übernimmt die Jungsozialistin die Leitung und die Organisation der Sitzungen. Charlotte
verfolgt dieselben Werte wie die JUSO: Sie verlangt eine gerechtere und
umweltfreundlichere Welt. Zugleich setzt Charlotte sich aktiv gegen den Rechts-
extremismus in der Schweiz ein, der laut ihr, nach wie vor eine Gefahr für die
Welt darstellt.

Interviewauszug
Was ist für Sie momentan am wichtigsten? Wofür setzen Sie sich persönlich am meisten ein?
CG: Ursprünglich bin ich der JUSO vor allem wegen der Klimathematik beigetreten. Denn ich
wurde durch die Klimastreiks politisiert. Die Erkenntnis, dass die Klimakrise nicht nur
ein ökologisches Problem ist, sondern auch ganz viele soziale Probleme nach sich zieht,
war auch ein wichtiger Faktor. Folgend müssen Lösungen auch immer sozialgerecht gestaltet
sein. Sodass die «Lösungen» nicht noch weitere Leute belasten, welche bereits unter Armut
leiden. «Sozialgerechte Klimapolitik» war anfangs mein Hauptthema, aber inzwischen ist es
breiter aufgefächert. Besonders sind es soziale Themen wie Feminismus, Gleichstellung etc.
Ich finde es schade, dass wir unsere Zeit für die Bekämpfung der extremen Rechten auf-
wenden müssen. Denn die extremen Rechten in der Schweiz und in ganz Europa werden immer
salonfähiger und ziehen zunehmend in die Parlamente ein. Sie werden von immer breiteren
Bevölkerungsschichten als legitime Position angesehen. Im Moment können wir nicht an
unseren Kernthemen arbeiten, denn wir opfern unsere Energie für die Bekämpfung des Rechts
extremismus.
Was verstehen sie unter dem Rechtsextremismus, hätten Sie ein konkretes Beispiel dafür?
CG: Das jüngste Beispiel, welches auch mediatisiert wurde, ist die Verbindung der Jungen
SVP zur Jungen Tat oder auch die Verbindung zu Sellner, dem österreichischen Neonazi. Ein
Beispiel wäre noch in Portugal, wo eine rechtsextreme nationalistische Partei bei den
Parlamentswahlen deutlich zugelegt hat oder auch in Deutschland, wo vermehrt die AFD ge-
wählt wird. In den USA wäre es Donald Trump, der meiner Ansicht nach auch rechtsextrem,
nationalistisch und ausländer:innenfeindlich ist. All diese Dinge, bei denen ich finde,
man müsste den Leuten, die auf der Flucht sind, von denen es immer mehr gibt, helfen.
Man sollte Migrant:innen mit Empathie und Solidarität begegnen. Man sollte sich nicht von
den Migranten abschotten und so tun, als könnte man nichts dafür, dass sie jetzt in ihrer
Situation sind. Denn auch wir sind für solche Probleme, wie etwa die Klimakrise,
verantwortlich.